Normatives Fundament und anwendungs-praktische Geltungskraft des sogenannten Rechts auf Nichtwissen

Stand: 14.01.2014



Hinsichtlich des Gegenstands der Analyse liegt ein besonderer Fokus zum einen auf den aktuellen bzw. absehbaren technologischen Entwicklungen der modernen Gensequenzierung. Genetische Daten gelten sowohl im Verständnis der Bevölkerung als auch datenschutz- und medizinrechtlich als besonders "sensibel"; wegen ihres Potentials für soziale Diskriminierung und Stigmatisierung hat sich der Gesetzgeber zur einer umfänglichen spezialgesetzlichen Regelung auf der gedanklichen Grundlage des sog. "Exzeptionalismus" veranlasst gesehen. Schon die anhaltende Kritik hieran aus Ärzteschaft, Human- und Molekularer Genetik lässt allerdings zweifeln, ob sich die gesetzten Vorgaben auf Dauer halten lassen werden; hinzu kommt die bisher bewusst ungeregelt gebliebene Materie der genetischen Forschung, für die eine evtl. Anerkennung des  Rechts auf Nichtwissen absehbar gesteigerte Anwendungsschwierigkeiten und Folgefragen nach sich ziehen würde. Die zunehmende Einbeziehung der Genetik auch in klinischen Arzneimittelprüfungen ("Pharmakogenetik"), die in Aussicht stehenden neuen Testverfahren in der Pränataldiagnostik ("Trisomie 21 per Bluttest") und die allgemeine Entwicklung der Gesundheitsversorgung in Richtung einer "personalisierten" bzw. "individualisierten Medizin" zeigt, dass die aufgeworfenen Fragen von hoher Aktualität und praktischer Relevanz sind. Denn Kenntnis oder Nichtkenntnis der eigenen genetischen Krankheitsdisposition haben unabänderliche Auswirkungen auf Lebensgestaltung und Selbstwahrnehmung des Betroffenen und besitzen damit maßgebliche Bedeutung.